Anfang des Jahres 2014 beschließen wir, im August mit unserer Irish Terrier Hündin Scooby-Doo in Spanien auf dem Jakobsweg zu pilgern. Nach einer gründlichen Vorbereitung wird endlich ein langgehegter Traum umgesetzt. Ärztliche Checks geben grünes Licht für Mensch und Tier. Unsere Kondition schätzen wir nach intensivem Wander- und Lauftraining und Gewöhnung an die eigenen Rucksäcke als ausreichend ein.
Wir informieren uns in einigen Pilgerführern. Daraufhin vereinbaren wir tägliche Touren von etwa 20 km. Endziel soll Santiago de Compostela sein. Die Gesamtkilometer lassen wir offen. Wir wollen auf uns zukommen lassen, was innerhalb von 3 Wochen Urlaub körperlich und mental für Frauchen und Scooby-Doo möglich ist. Wir beginnen an der Nordküste auf dem Camino de la Costa, um später auf den Camino del Norte ins Landesinnere abzuzweigen.
So weit, so gut. Doch wir lesen auch, dass generell in allen spanischen Herbergen Hundeverbot besteht. Was tun? Wir entscheiden, zusätzlich ein leichtgewichtiges Zelt, Isomatten und Schlafsäcke mitzunehmen. Das bedeutet zwar mehr Gewicht auf’m Buckel, aber ansonsten überwiegen die Vorteile. Zum einen macht uns das Zelt absolut frei vom sogenannten „Bettenrun“. Man muss nämlich früh genug morgens losgehen, um mittags die Chance zu haben, einen Schlafplatz zu bekommen. Wer zu spät kommt, muss häufig weitergehen oder das Glück haben, dass Notbetten aufgestellt werden können. Zum anderen wissen wir, dass das Aufstellen eines Zeltes in der Nähe von Herbergen oft geduldet wird. Dabei wird manchmal davon ausgegangen, dass das Zelt als Unterschlupf für Hunde dient. Die Frage stellt sich, ob man uns zusammen mit Scooby-Doo im Zelt nächtigen lässt. Wir sind optimistisch und beide der Meinung: Scooby-Doo wird auf keinen Fall alleine im Zelt schlafen; notfalls campen wir wild. So folgen auch wir der Pilgerphilosophie: „Man geht los ohne Bleibe – der Weg wird es bringen." Übrigens, die Kosten in staatlichen Herbergen betragen etwa 6 Euro und in privaten 10 bis 15 Euro.
Und nun berichtet Scooby-Doo aus ihrer Sicht über ihre Pilgererlebnisse weiter.
Holà liebe Leserinnen und Leser,
aufgeregt und gespannt schaue ich meinen Frauchen beim Einpacken meiner Sachen zu: Trockenfutter, Leine, Halsband, Rucksack, Decke, Schühchen, Notfallapotheke, Talg und mein Tier- und Pilgerausweis,
denn schließlich sollen auch meine gelaufenen Kilometer dokumentiert werden. Noch ist er ziemlich leer, aber das wird sich bald ändern, doch dazu später mehr.
Und endlich geht’s los. Freudig springe ich ins Auto. Dabeisein ist alles. Die Fahrt dauert 2 Tage, bis wir in San Esteban, einem schönen, kleinen Hafenort an der spanischen Küste, ankommen. Wir lassen dort das Auto stehen und starten am nächsten Vormittag mit ziemlich viel Gepäck unsere erste Pilgertour auf dem Camino de la Costa. 24 km bis Soto de Luina liegen vor uns bei angenehmen Temperaturen von 20 Grad.
Meine Tagesfutterration trage ich selber in meinem schönen, gelben Rucksäckchen und sehe damit aus wie eine richtige Peregrina. Viele Peregrinas und Peregrinos schauen mich lachend an, bleiben stehen, streicheln mich und machen Fotos. Zum Schluss wünschen sie mir „Bon Camino“. Ich freue mich über die Begeisterung und marschiere selbstbewusst weiter und genieße die herrlichen Aussichten aufs Meer.
An vielen Stellen sind Hunde am Strand verboten. Schade. Nach 8 Stunden Pilgern kommen wir in Soto de Luina an und finden ein Zimmer in einer Albergue. Ein Hauch von Muskelkater macht sich bemerkbar. Und das bereits nach unserer 1. Tour. Wie soll das nur weitergehen? Meine Frauchen wollen am liebsten die Schuhe schon an den Nagel hängen. Dabei haben wir doch grad erst angefangen! Mir fallen abends vom vielen Laufen und Meergucken schnell die Augen zu.
Am nächsten Morgen gehen wir einen wunderschönen Wanderweg oberhalb des Meeres in den Bergen. Der Boden ist weich, mal geht’s steil bergauf, dann wieder steil bergab und ich treffe viele nette Hunde-Kumpel. Nach Stunden des Pilgerns und spürbar müde entscheiden wir einvernehmlich, von Ballota mit dem Zug zu fahren, um 70 km Fußweg überwiegend auf Asphalt zu sparen. Beim Pilgern ist auch das Warten auf den Zug eine entspannte Angelegenheit. Nach einer Stunde ist der angepeilte Ort Tapia de Casariego erreicht. Wir steigen aus, der Zug fährt weg und wir stellen fest, dass es noch 6 km bis zum Ortskern sind. Oh Schreck: kein Bus, kein Taxi in Sicht. Wir müssen also wieder laufen und sind genervt. Frauchen hält den Daumen hoch, aber niemand nimmt uns mit. Ich bin so fertig, dass Frauchen mich von meinem Rucksack befreit. Und endlich, nach gefühlten ewigen Stunden erreichen wir den Ort und jiipppi, da ist direkt ein Hotel. Wir freuen uns. Aber dieses Hotel nimmt keine Hunde auf. Gequält und sauer ziehen wir weiter. Glücklicherweise nimmt uns dann das zweite, nach einem weiteren km entfernte Hotel nach viel Zureden auf. Schlapp lege ich mich aufs Bett und nehme ausnahmsweise dort meine Abendmahlzeit ein. „Heute laufe ich keinen einzigen Schritt mehr, meine lieben Frauchen.“ Nach dem Fressen schlafe ich sofort ein.
Am nächsten Tag bin ich wieder fit und freue mich auf Weiteres. Wir pilgern bis Ribadeo. Hier überqueren wir eine 700 m lange Autobahnbrücke mit beeindruckenden Blicken auf den Hafen von Ribadeo und Zittern unter den Pfötchen durch die vorbeirasenden Autos. Welch ein Kontrast!
Nach einer erholsamen Nacht im Hotel verlassen wir nach 3 wunderschönen Wandertagen den Camino de la Costa und pilgern weitere 11 Touren auf dem Camino del Norte ins Landesinnere bis Santiago de Compostela. Die Landschaft wird insgesamt als sehr grün beschrieben, was sich bestätigen wird.
Die Wege sind für mich richtig klasse, wenn sie uns auf weichem Boden durch Eukalyptuswälder oder durch Heidelandschaft führen, und mal weniger klasse, wenn’s über Schotter oder heißen Asphalt geht. Dann ziehen meine Frauchen mir Hundeschühchen an.
Der Weg ist mal wellig, mal eben und führt uns häufig durch kleine, landesübliche Ortschaften mit ihren typischen Kornspeichern. Unterwegs gibt’s jede Menge tierische Eindrücke.
Bei jedem Ankommen an den täglich wechselnden Albergues stellen wir uns mit einem Grummeln im Magen die Frage: Dürfen wir gemeinsam im Zelt in der Nähe nächtigen? Aber Gott sei Dank dürfen
Bei jedem Ankommen an den täglich wechselnden Albergues stellen wir uns mit einem Grummeln im Magen die Frage: Dürfen wir gemeinsam im Zelt in der Nähe nächtigen? Aber Gott sei Dank dürfen wir und entsprechend groß ist immer wieder die Freude. Einmal haben wir wild gecampt. Wieso? Weil kein einziges Hotel in Vilalba Hunde in Zimmern erlaubt: „Sie können gerne ihren Hund im Schuppen oder in der Garage unterbringen.“ Meine Frauchen schauen mich an, schütteln ihre Köpfe, setzen die Rucksäcke auf und weiter geht’s. Die Laune ist auf dem Tiefpunkt. Was tun? Wir stärken uns zunächst in einem Restaurant, vertrauen auf das Motto: „Der Weg wird es bringen“, kaufen Brot und Käse und verlassen diese Stadt, die uns irgendwie nicht will! Es ist bereits 17 Uhr, hinter uns liegen 9 Stunden und wir wollen nur noch ausruhen. Und siehe da: Nach ein paar hundert Metern finden wir ein schönes Fleckchen Erde, direkt an einem Bach und mitten im Grünen etwas abseits des offiziellen Jakobsweges. Der Weg hat es gebracht…
Und wir haben noch einen weiteren, ganz besonderen Schlafplatz. Wir dürfen im Innenhof des Klosters in Sobrado dos Monxes auf dem gepflegten Rasen unser Zelt aufschlagen. Wie cool! Das genießen wir in vollen Zügen.
Von Sobrado dos Monxes pilgern wir bis Arzua, wo der Camino del Norte mit dem Primitivo und dem Francés zusammentrifft. Wir legen einen Ruhetag ein und begegnen vielen, vielen Peregrinas und
Peregrinos aus aller Herren Länder. Alle freuen sich, dass das Ziel Santiago de Compostela in Sicht ist. Ca. 40 km trennen uns. Wir genießen den freien Tag und pflegen Blasen und Pfötchen und das
leckere (Fr-)Essen.
Von Arzua aus geht’s am nächsten Tag nach Pedrouzo. Auf diesem Weg sehen wir das erste Mal Rad fahrende und reitende Pilgerinnen und Pilger, die gleichfalls die Compostela erhalten, wenn ihre
Pilgerpässe ausweisen, dass sie die letzten 100 km bis Santiago de Compostela zurückgelegt haben. Erinnert ihr euch, liebe Leserinnen und Leser, an meinen anfangs erwähnten Pilgerpass? Ich komme
gleich darauf zurück. Zunächst folgt die letzte Etappe. Noch 20 km warten auf uns. Das Ziel ist vor Augen und wir sind hoch motiviert. Frauchen gehen mit Stirnlampen und ich mit meinem feschen
Blinkehalsband morgens um 5 Uhr in der Dunkelheit los, um vor der angekündigten Hitze von 34 Grad frühzeitig in Santiago anzukommen.
Und tatsächlich, wir schaffen es bis 11 Uhr, bevor die unerträgliche Hitze Einzug hält. Wir trudeln erschöpft, aber unbeschreiblich glücklich auf dem Platz vor der riesigen Kathedrale ein. Meine Frauchen weinen und ich weiß gar nicht wieso: „He, was ist los? Heldinnen weinen doch nicht oder? Also: ich jedenfalls nicht. Ich stell‘ mich schon mal zum Posen für die anstehende Fotosession auf.“
Pfötchen und Füße „qualmen“. Gott sei Dank können meine Schühchen und Frauchens Wanderschuhe für längere Zeit ausgezogen und eingepackt werden. Und jetzt kommt der große Moment. Wir holen die
Compostelas im Pilgerbüro ab. Eine sehr freundliche, verständnisvolle Mitarbeiterin im Pilgerbüro stellt mir meine persönliche Compostela aus. Voraussetzung für die Compostela ist, dass jede
Peregrina und jeder Peregrino die letzten 100 km bis Santiago de Compostela gepilgert ist. Ich bin darüber hinaus noch 150 km gewandert, komme also auf 250 km. Frauchen sagen, dass sei vergleichbar
mit der Entfernung zwischen meiner Heimatstadt in Nordrhein Westfalen und meiner Geburtsstätte in Hessen. Ganz schön weit, wie ich finde.
Ein blaues, tolles Haus hat eine besondere Geschichte. In jedem Restaurant, Hotel, jeder Bar und Herberge und eben in diesem blauen Haus erhält man Stempel in den Pilgerpass als Nachweis des zurückgelegten Weges. Hier lebt ein spanischer Künstler, der sich köstlich über meinen Ausweis amüsiert. „ Ich habe bisher noch niemanden erlebt, der einen Pilgerausweis für seinen Hund hat. Das ist ja eine außergewöhnliche Idee“ sagt er und schmunzelt. Er gibt mir neben einem Stempel zwei rote Siegel in meinen Pass, und zwar eins direkt vorne drauf und eins hinten drauf. Und nun ist mein Pass voll und die Siegel sind echt die Krönung!
Das ist der Pilgererlebnisbericht aus meiner Sicht. Den Schlussakkord wird Frauchen setzen.
Adiós, eure Peregrina Scooby-Doo
Wir haben es tatsächlich geschafft, das angepeilte Ziel Santiago de Compostela zu erreichen. Wir brauchten für 250 km 15 Tage mit einem Ruhetag. Zwischenzeitlich machten uns vor allem Bodenbeläge,
Hitze und Fußblasen arg zu schaffen. Doch nach dem Motto „Der Weg ist das Ziel“ verknüpft mit hoher Motivation und landschaftlich abwechslungsreichen Reizen ging’s immer weiter und Scooby-Doo hat das
Projekt mit der ihr eigenen Ausdauer, Begeisterungsfähigkeit und ihrem Motto „Hauptsache Dabeisein“ wunderbar mitgemacht. Für uns Frauchen war der Besuch der Pilgermesse in der Kathedrale mit dem
großen Weihrauchkessel der krönende Abschluss. Als wir in der gefüllten Kathedrale sitzen, wird es plötzlich unruhig und siehe da, 8 Messdiener lösen die Seile, die den Weihrauchkessel sichern. Und
tatsächlich: In dieser Messe wird der Kessel durch die Kathedrale von einer Seite zur anderen geschwungen. Das passiert nicht häufig; entweder zu besonderen Anlässen oder wenn eine Spende
eingegangen ist. Wir wissen nicht, was vorliegt, egal: Wir erleben dieses seltene Spektakel und Erinnerungen an eine sehr gute Freundin werden wach, die immer davon geträumt hatte, zu pilgern und
diese Zeremonie zu erleben. Leider konnte sie diesen Traum nicht mehr umsetzen.
„Los Caminos No Tienen Final Nuestros Pasos Si“ - „Unsere Wege haben kein Ende, unsere Schritte schon“ (Chacón, spanischer Künstler).
Autorinnen: Heike Sonnefeld und Petra Platen
Fotos: Heike Sonnefeld, Petra Platen
In: Der Terrier, 111. Jahrgang, 06 / 2019
Originalbericht: